Im März 1938, wenige Tage vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, versuchten die regierenden Vertreter des Ständestaates, aber auch Sozialdemokraten und Kommunisten, ihre Anhänger gegen ein Nazideutschland zu mobilisieren. Die Aktionen hatten keinen Erfolg. Vielfach hatten die örtlichen Nationalsozialisten bereits die Macht übernommen.
Der Kommunist Vinzenz Böröcz erinnert sich an die Ereignisse am 10. März 1938: „[…] Spätabend besuchten wir in der Seewinkelgemeinde Illmitz den ehemaligen SP-Vizebürgermeister Haider, um ihn ebenfalls über unser Vorhaben zu informieren. Als wir danach auf die Straße traten, sahen wir, wie sich eine große Menschenmasse auf uns zu bewegte und „Sieg Heil!“ rief. Es war uns nicht gleich klar, ob dies für Österreich oder für Hitler gelte. Kurz darauf wurden wir von einer Meute junger Männer, von denen sich später herausstellte, dass es sich um illegale SA-Leute handelte, umzingelt und schließlich in das Haus des Ortsgruppenleiters geschleppt. Die SA-Leute waren kurz zuvor von der Nazi-Kundgebung in Eisenstadt zurückgekehrt und hatten erfahren, in welcher Mission wir uns in Illmitz aufhielten. Zuvor aber hatten sie unseren Taxifahrer, der mit seinem Wagen einige hundert Meter entfernt geparkt hatte, verprügelt, weil er ihnen nicht einmal sagen konnte, wer wir waren und was wir in Illmitz wollten. […] Vor dem Haus des Ortsgruppenleiters sammelten sich indessen hunderte Ortsbewohner, die inzwischen schon wussten, wer wir waren, und forderten lautstark unsere Auslieferung. Der Name meines SP-Genossen Rosenberger war für die nach Lynchjustiz schreienden SA-Burschen überdies ein Beweis, dass es sich um einen Juden handelte. Erst als sich ein im Ort ansässiger Straßenwärter vordrängte und feststellte, dass es sich bei Rosenberger um keinen Juden, sondern um den ehemaligen SP-Abgeordneten des Bezirkes handelte, wurden wir der inzwischen aufgetauchten Gendarmerie übergeben, die uns dann durch die Menge schleuste und zum Auto brachte.
Je ein Gendarm stellte sich links und rechts auf das Trittbrett des Wagens, uns so fuhren wir im Schritt durch die wütende Menge bis zum Ortsausgang, wo sie unsere Nationale aufnahmen und uns schließlich fortfahren ließen. In Weiden am See luden wir den überall blutenden Rosenberger im Hause des ehemaligen SP-Nationalrates Alexander Hareter ab, und nach einer kurzen Verschnaufpause fuhr ich nach Neusiedl weiter, wo ich zur späten Nachtstunde bei einem Freund Unterschlupf fand.“
(Vinzenz Böröcz, Wie ich im März 1938 die Besetzung Österreichs erlebte, In: Volksstimme, 11. März 1988)
Für viele Menschen in Österreich war die Nacht von 10. auf den 11. März 1938 von Unsicherheit und Angst geprägt. Sie war ein Anzeichen für die dunklen Zeiten, die mit dem Anschluss an Nazi-Deutschland begannen. Der Artikel zeigt, auf welche Weise die Nationalsozialisten schon vor ihrer offiziellen Machtübernahme Angst verbreiteten. In zahlreichen Orten hatte die SA bereits die Kontrolle übernommen und ging brutal gegen Menschen vor, die anderer Meinung waren. Aber warum war es niemanden möglich, sich gegen diese Entwicklung zu wehren? Weshalb waren die Versuche, den Anschluss zu verhindern, erfolglos?
Die Geschehnisse im März 1938 verdeutlichen, dass es zwar einen Widerstand gegen die Nationalsozialisten gab, dieser jedoch zu schwach war. Seit 1934 war die Sozialdemokratische Partei verboten, und viele ihrer Mitglieder mussten fliehen oder arbeiteten heimlich weiter. Auch die Kommunisten wurden verfolgt. Der strenge Ständestaat, der nach dem Verbot der politischen Parteien entstand, fand in der Bevölkerung wenig Rückhalt.
Die Feinde des Nationalsozialismus sahen sich nicht nur einer gut organisierten Bewegung gegenüber, sondern auch einer Bevölkerung, die zum Teil aus Angst und zum Teil aus Überzeugung den Nazis sympathisierte. Der Bericht zeigt, dass viele Dorfbewohner aktiv an der Gewalt gegen politische Gegner beteiligt waren. Das heißt, der Anschluss an Nazi-Deutschland kam nicht nur von außen, sondern wurde auch von Teilen der Gesellschaft unterstützt.
Der Widerstand in Österreich war schwierig, da viele Menschen von der Nazi-Propaganda beeinflusst und aus Angst vor Bestrafung zurückhaltend waren. Die Nationalsozialisten machten sich geschickt die wirtschaftliche Unsicherheit und die Sorgen der Menschen zunutze. Zahlreiche Menschen setzten die Hoffnung darauf, dass Hitler ihre Notlagen in Ordnung bringen würde. Wie der Artikel beschreibt, verdeutlicht die Gewalt gegen politische Gegner, dass jeglicher Widerstand umgehend niedergekämpft wurde. Das führte dazu, dass sich viele nicht mehr trauten, sich zu wehren.
Ein mögliches Argument wäre, dass dem Widerstand ohnehin keine Möglichkeit blieb, den Anschluss zu verhindern. Doch das ist eine gefährliche Annahme. Obwohl ein großer Umsturz unwahrscheinlich war, hätte ein intensiverer Widerstand das Tempo der Machtübernahme verlangsamen oder die Entstehung einer größeren Untergrundbewegung vielleicht ermöglichen können.
Die Geschehnisse im März 1938 zeigen, wie rasch eine Gesellschaft ihre Freiheit verlieren kann, wenn nicht ausreichend Menschen für Demokratie und Gerechtigkeit kämpfen. Obwohl es Widerstand gab, war dieser nicht ausreichend, um etwas zu bewirken. Gleichzeitig wird erkennbar, wie riskant es ist, wenn eine extremistische Weltanschauung nicht rechtzeitig angegangen wird.
Diese Geschichte erinnert uns, dass Demokratie und Freiheit nicht selbstverständlich sind. Es ist notwendig, sie zu verteidigen – nicht erst dann, wenn die Situation aussichtslos scheint, sondern bereits bei den ersten Anzeichen der Gefahr. Die Untätigkeit vieler Menschen machte es den Nazis möglich, die Kontrolle so schnell zu übernehmen. Wer Unrecht nicht rechtzeitig bekämpft, wird oft selbst zum Opfer. Dies trifft nicht nur auf die Vergangenheit zu, sondern auch auf die Gegenwart. Daher ist es von Bedeutung, aufmerksam zu sein und sich aktiv für demokratische Prinzipien einzusetzen.