Im November 1928 äußerte die burgenländische Landesregierung den Wunsch, dass in den Kirchen Festgottesdienste anlässlich des 10-jährigen Bestandes der Republik Österreich abgehalten werden sollen. Die ungarische Minderheit des Landes tat sich mit diesem Wunsch anfänglich etwas schwer, wie uns ein Bericht der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom November 1928 zeigt:
Oberwart„[…] Pfarrer Bajcsi (kalvinischer Superintendentstellvertreter H.B. in Oberwart) erklärt mir besorgt, dass er einen ‚eigenen‘ Festgottesdienst nicht abhalten könne ohne Gefahr zu laufen, von seinen Kirchengläubigen ‚erschlagen‘ zu werden. Einmal hätten dies ihm aus Bosheit schon einen dicken Stein durch das Fenster in die Wohnung geworfen. Unter Hinweis auf seine stets zur Schau getragenen Loyalität und seine ununterbrochene Einwirkung auf die magyarischen Kalviner zur Loyalität und Friedsamkeit bat er mich, ihn nicht zur Verherrlichung des 10-jährigen Bestandes der ‚deutschösterreichischen‘ Republik zu nötigen, der die hiesige magy. Minorität mit dem Burgenland erst vor 7 Jahren angeschlossen worden – noch zu frisch. Er sei nun einmal ‚Magyare‘ und bitte um Würdigung der Tradition. […] Nun griff Pfarrer Geistlinger (evang. Pfarrer A.B. in Oberwart) – dessen promagyarische Gesinnung der Landesregierung ebenfalls genau bekannt ist – kalmierend ein und erklärte – in der Erfüllung des geäusserten Wunsches nach einem ‚Festgottesdienst‘ nicht eine soweit gehende Exposition erblicken zu können – wie dies Pfarrer Bajcsi unter dem ersten Eindruck augenscheinlich tue. Gewiss falle er beiden – da deren Pfarrlinge teils zur Gänze – teils zu einem grossen Teil – magyarischer Stammeszugehörigkeit seien – nicht leicht, sich im Sinne des neuen Staates, den man angehöre – öffentlich zu erklären. Man müsse dies ja psychologisch verstehen! Er verwies, dass er schon öfter, da er allein die deutsche Sprache vollkommen beherrsche – als Sprecher der magy. Minorität von Oberwart hinausgestellt werden sei – für die Gemeinde – für die Bevölkerung der Gemeinde – nicht in seiner Eigenschaft als Seelsorger – sondern als Bürger der Gemeinde. Es habe daraus meist persönliche Angriffe gegeben, letzthin wegen seiner Ansprache gelegentlich des Empfanges der reichsdeutschen Pressevertreter sogar Presseangriffe in ung. Blättern. Während die r.k. Geistlichkeit mit liturgischen Zeremonien hinwegkomme, müssten die evang. Geistlichen mit Worten zur Sache sprechen, was umsoschwerer falle, als die magy. Bevölkerung eher anderen Staatsformen zuneige, als der republikanischen.
Nach ruhiger Durchbesprechung und meinem Vorschlag, die ‚Zehnjahrefeier‘ dem sonntäglichen Gottesdienst am 11.XI. anzuschliessen – fügte sich dann Bajcsi sichtlich erleichtert in das Unvermeidliche und bat mich nur in dieser Beziehung nicht zu hohe Ansprüche zu stellen, er werde seine Pflicht so tun, dass ich bei Übung einer gewissen Ein- und Nachsicht mit ihm zufrieden sein werde. Man einigte sich, dass der Festgottesdienst in der helvetischen Kirche um 10 Uhr – in der protestantischen Kirche um 11 Uhr stattfinden und Ehrenplätze für die Vertreter der Behörden zur Verfügung stehen werden. […] Bajcis Haltung war jedenfalls im Gegensatz zu seinem anfänglichen Widerstand äusserst zufriedenstellend, denn sie hat in der anwesenden großen Menge magy. Kirchenbesucher in überzeugender Weise bekundet, dass die magy. Bevölkerung unter österr. Herrschaft keinen Anlass zu Klagen haben und die wohlwollende Duldung und staatl. Schutz dank schulde.
Am Abend des 11. November vollzogen sich unter grosser Beteiligung der Bevölkerung Fackelzug, Zapfenstreich und das Straßensingen des Gesangvereines. […] Wenn ich noch hinzufüge, dass der Bürgermeister die Kosten des Fackelzuges auf Rechnung der Gemeinde wortlos übernahm und auch ein Fass Bier für die Feuerwehrkapelle springen liess – so kann abschliessend gesagt werden, dass im Rahmen der hier besonders schwierig gelegenen Möglichkeiten (Oberwart hat 66% magy. Bevölkerung!) die Zehnjahrfeier der Republik in sehr würdiger und das Ansehen des Staates und seiner Behörden hebenden Weise so begangen wurde, dass auf dem Wege der Einschmelzung selbst der magy. Bevölkerung ein gutes Stück Weg nach vorwärtsgeschritten worden ist.
Der Bezirkshauptmann“
(BLA Polizei 1930. 2001-E. 2205/1930)