Die rund 40.000 evangelischen Burgenländerinnen und Burgenländer fühlten sich im katholischen Österreich, insbesondere durch den katholischen „Ständestaat“, an den Rand gedrängt. Sehr früh sympathisierte eine große Anzahl der evangelischen Bevölkerung bereits während der illegalen Zeit des Nationalsozialismus mit Hitler-Deutschland und war „großdeutsch“ eingestellt. Dies wird auch in der Reaktion des evangelischen Pfarrers von Lutzmannsburg Karl Fiedler anlässlich der Ermordung von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß durch Nationalsozialisten deutlich:

Dollfußdenkmal in Eisenstad

„In den Nachmittagsstunden des 25. Juli meldete „Radio Wien”: Bundeskanzler Dr. Dollfuß sei mit seiner Regierung gestürzt, Dr. Rintelen hätte eine nationalsozialistische Regierung gebildet. In den Abendstunden jedoch wurde gemeldet, der Aufstand der Nationalsozialisten sei niedergeschlagen, Dr. Dollfuß sei zwar tot, doch hätte Vizekanzler Fürst Starhemberg und Kultusminister Dr. Schuschnig die Geschäfte der Regierung bis auf weiters übernommen.
Man erwartete nach der Ermordnung Dr. Dollfuß’s nichts gutes, und es kam auch nichts gutes. Ich muß hier weiter zurückgreifen, um verständlich zu sein.
Die Hitlerbewegung (National-Sozialistische-Deutsche Arbeiterpartei) die in Deutschland schier schon das Volksganze ergriffen hatte, faßte auch bei uns in Lutzmannsburg im Frühjahr 1932 Fuß, indem – nicht zuletzt auf meine Anregung – eine Ortsgruppe gebildet wurde, der recht bald 80 Mitglieder angehörten. Aber auch die nicht organisierte Mitglieder waren, fühlten nationalsozialistisch, so daß 95% der Evangelischen „Hitlerisch” waren.
Die Mehrheit der Katholiken sahen von vorneher in dem Hitlertum etwas protestantisches und lehnten es ab.
Als Dr. Dollfuß im Frühjahr 1933 Bundeskanzler wurde, sprengte er das Parlament auseinander, verbot alle bisherigen Parteien (auch die „Hitlerpartei”) und führte einen streng katholischen Kurs ein. Allenthalben wurde das „katholische Osterreich” betont. Die Sache spitzte sich immer mehr zu und unsere Gemeinde – vorher die angesehenste (weil intelligenteste) im Bezirk, war auf einmal verpönt und als „staatsfeindlich” erklärt. Wegen jeder Kleinigkeit wurden die gewesenen Führer der Hitler-Ortsgruppe nach Oberpullendorf zitiert, verhört und mehrere Tage oder auch Wochen eingesperrt. Nach der Ermordung des Dr. Dollfuß wurde die Lage noch ärger. Gleich tags darauf wurden drei Männer (Karl Plöchl, Karl Weber und Karl Huber) nach Oberpullendorf abgeführt – ohne Ursache – und 5 Tage lang in Haft gehalten.
Am Begräbnistag des Dr. Dollfuß mußten alle ev. Fenster (in den Abendstunden) mit Kerzen beleuchtet sein. Wo keine Kerze angebracht war, erschien Militär mit aufgepflanzten Bajonett und bemußten die Evangelischen zur katholischen Sitte der Kerzenbeleuchtung. Auch im evang. Pfarrhause wurden zwei Fenster beleuchtet. Eine kleine Gegenreformation ist im Zuge!”
(Artinger Heribert: Chronik der Freistadt Rust 1850-1950. Graz 2002, S. 193)