In der jungen Republik kam es zwischen den beiden führenden Parteien, den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, zu heftigen Auseinandersetzungen über religiös-gesellschaftliche Fragen, wie Religionsunterricht, Staatsschulen oder Zivilehe. Während die Sozialdemokraten eine strikte Trennung von Kirche und Staat einforderten und eine Kirchenaustrittspropaganda organisierten, verteidigte die Kirche ihre bestehende Stellung vehement. Auch in den burgenländischen Gemeinden wurde dieser „Kulturkampf“ intensiv geführt. Nur selten solidarisierten sich die örtlichen Priester mit den Sozialdemokratischen Organisationen. War dies wie 1930 in St. Andrä am Zicksee der Fall, so wurden von den Gegnern Konsequenzen gefordert.
Gemeindeamt St. Andrä am 12. Dezember 1930:
„Hochwürdiger Herr Dechant Ignaz Flicker in Tadten.
Mit grösstem Bedauern geben wir Euch Hochwürden bekannt, dass die Gemeinde St. Andrä am heutigen Tage bei seiner Eminenz Herrn Kardinal und Erzbischof Piffl gegen den Ortspfarrer R. Bertha eine Anzeige resp. Ausführliche Beschwerde erstattet hat. In der Beschwerdeführung haben wir seine bisherigen Predigten, seine Geldgierigkeit, sein respektloses Benehmen begründet. Und als Hauptlast seine sozialdemokratische Einstellung, welche wir schon längere Zeit beobachten und ihn am 12. Dezember ertappt haben, als er im Pfarramte in St. Andrä mit der sozialdemokratischen Lokalorganisation Beratungen gegen bürgerliche Gemeinderäte verhandelt hat. Der Herr Pfarrer hat sich beim Gemeindevorstand wegen dieser Unüberlegung [sic!] dahin rechtgefertigt, dass er die Sozialdemokraten in Schutz nehmen muss. Er sagte öffentlich im hiesigen Amte dem Herrn Bürgermeister, dass gerade so wie Herr Sekretär sich das Recht genommen hat die Soziversammlung in St. Andrä zu zersprengen, gerade solches Recht hat der rote Trafikant Schmidt in St. Andrä gehabt dem Landeshauptmann anlässlich einer christl. Versammlung „Pfui Rufe“ zu schreien. [sic!] Es sind noch andere Dinge vorhanden und die Gemeinde war gezwungen noch zur rechten Zeit die kirchliche Oberbehörde hievon zu verständigen, weil die Gemeinde fast überzeugt ist, dass sie mit dieser Anzeige nur ihre christliche Pflicht gemacht hat.
Hochachtungsvoll der Oberamtmann
(Sammlung Herbert Brettl, Halbturn)