Im 19. Jahrhundert gab es in den burgenländischen Dörfern kaum niedergelassene Ärzte, sondern zumeist nur Bader und Wundärzte. Selbst 1921, als das Burgenland ein Teil Österreichs wurde, verfügte das Land nur über zwei öffentliche Krankenhäuser in Oberwart und Güssing und zwei geistliche Krankenhäuser in Eisenstadt und Pinkafeld. Die Gesundheitsversorgung war, da medizinisches Personal, Einsatzfahrzeuge und Medikamente fehlten, vielfach nur auf das Notwendigste beschränkt. Zudem mangelte es der Bevölkerung an finanziellen Mitteln und Vertrauen in die moderne Krankenversorgung.
Dr. Richard Berczeller, der 1930 Gemeindearzt in Mattersburg wurde und vielfach auch in den benachbarten Dörfern ordinierte, berichtete in seinen Erfahrungen und Erlebnissen, dass die Bevölkerung größtes Misstrauen gegenüber den Krankenhäusern bzw. der Medizin hatten:
„Ich wurde nach Rohrbach gerufen. Ein Bauernwagen stand heim Toreingang. Nehmens net ihr Auto’, sagte ein alter Bauer mit einem riesigen Schnurhart, die ganze Nacht hats gregnt und Se kumman nit durch. Es is nit dringend, aber Se wissen ja, wie de Weiba san. Wegen jeden Schmarrn ruafns den Dokta. Mei Bua is am Barn kraxelt und heruntergefallen. Es war a Glück, daß er an an Ast hängen bliebn ist. I hab eam heruntergeholt.’ Der ,Bua’ hat nicht gut ausgeschaut. Er war blaß und klagte über Schmerzen im Bauch. Die Untersuchung zeigte, daß er beim Anprall an den Ast innere Verletzungen erlitten hatte, eine schwere Blutung. Der Bub war in akuter Lebensgefahr. Nur eine baldige Operation konnte die Blutung stillen. Ich sagte es den Eltern. Sie starrten mich entgeistert an, als ich sagte, der Bub müsse ins Spital. ,Aba Herr Dokta’, sagte der Vater. ,Wer wird denn scha sofort an a Spital denken. I bin hundertmal als Bua vom Bam gefallen, und i bin no da.’ Die Mutter nickte zustimmend. Wenn er nicht sofort ins Spital kommt, wird er verbluten!’ ,Aba na’, sagte die Mutter, ,i wea eahm Umschlag machen.’ Einige Stunden später war der Bub tot.“ (In: Sinowatz Lisa, Steiger-Moser Susanna (Hg.) Baousterz und Bubikopf. Burgenländische Geschiche(n) zwischen 1933 und 1938. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland. Band 151, Eisenstadt 2014, S. 128)
Der angesehene Arzt Dr. Richard Berczeller wurde auf Grund seiner jüdischen Herkunft nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 verhaftet. Es gelang ihm, in die USA zu emigrieren, wo er den Arztberuf wieder ausübte und sich zudem der Literatur widmete. Nach Kriegsende besuchte er mehrmals das Burgenland. Eine vollständige Rückkehr ins Burgenland schloss er jedoch aus.