Um dem gravierenden wirtschaftlichen Strukturmangel des Burgenlandes (der hohen Agrarquote, dem geringen Entwicklungsstand der gewerblichen Wirtschaft, den starken saisonalen Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt, der bescheidenen Finanzkraft des Landes und der Gemeinden etc.) entgegenzuwirken, begann man Mitte der 1950er Jahre gezielt, Ansiedlungen von Industriebetrieben zu fördern. Mit Erfolg! Allein zwischen 1959 bis 1961 kamen 34 neue Betriebe, zumeist Textil- und Bekleidungsfirmen, in das Burgenland. Insbesondere das niedrige Lohnniveau und das große Reservoir an vor allem ungelernten weiblichen Arbeitskräften lockten die neuen Betriebe an. Da die Vertreter von Wirtschaft und Politik auch in den 1970er Jahren weiterhin für Betriebsneugründungen warben, sahen einige schon „arrivierte“ Betriebe den Standortvorteil „verfügbare Arbeitskräfte“ in Gefahr.
Der Betriebsführer der Gloriette-Wäschefabrik in Stegersbach richtete am 10. Juli 1974 diesbezüglich einen Brief an den Präsidenten der Kammer der gewerblichen Wirtschaft:
„Sehr geehrter Herr Präsident, aufgrund mehrfacher Besuche in unserem Betrieb in Stegersbach konnte sie sich persönlich überzeugen, daß dieser Betrieb ordentlich geführt wird und einen würdigen Bestandteil der burgenländischen Industrialisierungsbestrebungen der Sechzigerjahre darstellt. Zu Ihrer Information sei aufgezeigt, daß wir in Stegersbach derzeit 330 Beschäftigte – überwiegend Frauen und Mädchen – zählen und noch im Jahre 1974 weitere 30 Personen eingestellt werden sollen. Wir erfahren nun von Bestrebungen der Burgenländischen Betriebsansiedlungsgesellschaft (Bibag), im Raum Stegersbach oder in Stegersbach selbst einen Großbetrieb der Elektroindustrie – Philips ist im Gespräch – anzusiedeln, wobei man sich auf Untersuchungen von Wissenschaftlern beruft, die angeblich ein noch nicht ausgeschöpftes größeres Arbeitskräftereservoir in diesem Gebiet festgestellt haben wollen.
Wie Sie sich durch einen Anruf bei den Arbeitsämtern Stegersbach und Oberwart überzeugen werden können, muß jedoch das Arbeitskräftereservoir in diesem Gebiet als ausgeschöpft angesehen werden kommt es bereits heute zu gegenseitigen Lizitationen und Abwerbungen von ungelernten Arbeitskräften. Als Beiratsmitglied der Bibag müssen wir Sie auf diese Ungereimtheiten aufmerksam machen, jedoch gleichzeitig an Sie auch als Präsident der Handelskammer Burgenland und somit auch als unsere Interessensvertretung appellieren, keine Maßnahmen zu setzen, die Bestehendes gefährden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Gloriette – Wäschefabrik“
(WK-Archiv. Korr. Präs. 1974)